The future is near.

Eines kann man Elon Musk nicht vorwerfen: fehlende Visionärität. Neben seinem privaten Raumfahrtunternehmen oder einem Hochgeschwindigkeitstransportsystem arbeitet er an der Neuerfindung der Autobranche. Im Programm hat er dazu bereits drei Modelle: das Model S, das Model X und das Model 3 (das ist das mit der schlechten Presse, weil die Produktionszahlen noch deutlich niedriger sind als angekündigt). Das Model X durfte ich Anfang Mai testen und kann bereits vorwegnehmen, dass ich positiv überrascht und durchaus angetan bin.
Seit September 2015 produziert, wird das Model X seit knapp 2 Jahren an deutsche Kunden ausgeliefert. In 2017 wurden in Deutschland insgesamt 1.090 Tesla Model X zugelassen. Dass diese Zahl so niedrig ist liegt vermutlich hauptsächlich daran, dass das Model X kein Fahrzeug für den Massenmarkt ist, aber dazu an späterer Stelle mehr. An Komfort, Reichweite, Verarbeitung kann es in meinen Augen nämlich nicht liegen.
Das Model X ist zurzeit das einzige reine Elektro-SUV auf dem Markt und weiß im Test zu überzeugen. Apropos überzeugen: Bei Tesla beginnt die Begeisterung ja schon vorm Losfahren, nämlich beim Betreten des Stores. Als ich noch nicht einmal beide Beine in den Hamburger Store in den Großen Bleichen gesetzt habe, werde ich mit Namen begrüßt und ins Obergeschoss geführt. Alles ist vorbereitet, die Unterlagen bereits ausgedruckt und nach einer Unterschrift sind wir mit dem organisatorischen Part fertig. Das Personal im Store ist unglaublich aufmerksam und freundlich – großer Pluspunkt in einer Zeit, in der es bei Produktkäufen zunehmend auch um die Experience drumherum geht und nicht mehr ausschließlich um das Produkt.
Wobei es in diesem Beitrag natürlich hauptsächlich um das Produkt gehen soll. Also sitze ich wenig später im Auto, um mich auf den Weg zu machen. Mir gefällt das Tesla Model X von außen bei genauerer Betrachtung besser als gedacht, die besonderen Flügeltüren sind ein Publikumsmagnet, wo auch immer man sie öffnet. Die offenen Falcon Wings ermöglichen den Fondpassagieren einen bequemen Zugang zu den Einzelsitzen in der zweiten Reihe und selbst in der dritten Reihe können Erwachsene bequem und ohne Engegefühle für eine längere Fahrt sitzen. Selbst bei 7 Passagieren bleibt immer noch genug Platz fürs Gepäck. Kurz auf dem riesengroßen 17-Zoll-Bildschirm die Karte geöffnet, die Anzeige der Ladestationen aktiviert, nach Stralsund gezoomt und dort das Hotel Scheelehof ausgewählt, schon startet die Navigationsansage. Tritt man auf die Bremse, schließen sich alle Türen, was man selbstverständlich alternativ auch über einen Klick auf dem Touchscreen hätte anweisen und dann optisch verfolgen können. Apropos: Im Prinzip funktioniert alles im Tesla über den Touchscreen. Als ich die Licht-Einstellungen des Fahrzeugs kontrollieren will, greife ich aus Gewohnheit links unten neben das Lenkrad, nur um festzustellen, dass dort kein Schalter oder Drehknopf ist. Stattdessen muss ich auf dem Bildschirm ins Licht-Menü gehen um Tagfahrlicht, Abblendlicht oder Fernlicht an, aus oder auf Automatik zu schalten. Fuß vom Bremspedal, ein vorsichtiger Tritt aufs Gaspedal (vorsichtig, weil die Beschleunigung so kraftvoll ist, dass es dich sonst bei einem beherzten Tritt jedes Mal beim Ampelstart in den Sitz drückt wie in einem Supersportwagen). So gleiten wir also zunächst durch die Hamburger Innenstadt und können uns dabei an das Fahrzeug gewöhnen, mitsamt seiner beeindruckenden, riesigen Frontscheibe. Lautlos, emissionsfrei, was kann es gemütlicheres geben? Für einige Verkehrsteilnehmer allerdings auch ein bisschen ZU leise: So ist es mir auch beim Tesla wie auch teilweise schon bei Hybrid-Fahrzeugen vorher passiert, dass mir Leute einfach vors Auto gelaufen sind und sich dann plötzlich erschrecken, wenn sie sehen, dass ein bulliges 2,5-Tonnen-Auto direkt hinter ihnen ist. Der Autopilot macht alles was er soll, fährt, hält den Abstand, bremst, beschleunigt, lenkt. Aber das Tesla Model X 100D ist beileibe kein Fahrzeug, mit dem man nicht auch Spaß haben könnte und das man nicht auch selber fahren möchte. Ganz im Gegenteil, der Wagen verführt auf der Autobahn zum schnellen Fahren und hat dabei hervorragende Traktion, liegt auch in Kurven sicher auf der Straße und bietet enormen Fahrkomfort. Trotzdem muss man sich selbst etwas zügeln, denn da ist ja noch die Sache mit der Reichweite der Batterie. Praktischerweise errechnet der Bordcomputer die Batterieladung, mit der man am Ziel ankommen wird. So sieht man dann recht schnell, dass man auf der Strecke Hamburg – Stralsund nicht allzu häufig in Gebiete über 200km/h beschleunigen sollte, weil sich die Batterieladung dadurch drastisch reduziert. Erkenntnis: Tesla fährt man (noch) eher um ans Ziel zu kommen, weniger um zu rasen. Wobei sich das hoffentlich auch noch entspannen wird, nämlich wenn die Lade-Infrastruktur deutlich ausgebaut ist. Wenn die Anzahl der Ladesäulen für Elektrofahrzeuge irgendwann ähnlich hoch ist wie herkömmliche Tankstellen bzw. die Batteriekapazität verbessert wird, ist das Problem auch gelöst. Bis dahin ist es einfach ungewohnt, deutlich vorausschauender fahren zu müssen, gerade wenn die Lademöglichkeiten sehr spärlich gesät sind, wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern.
Im Scheelehof in Stralsund* angekommen erwartet uns die nächste Nachricht, die nur Elektroautofahrer kennen: „Unsere Ladesäule ist leider von einem anderen Tesla belegt. Die Gäste sind 10 Minuten vor Ihnen eingecheckt.“ Die Batterien unseres Fahrzeugs sind noch zu etwa 15% geladen, die nächste Ladesäule ist nicht gerade um die Ecke. Das sympathische Team des Scheelehofs hat allerdings sofort eine Lösung parat: Sie beobachten den Ladestatus des anderen Tesla und sobald dieser einigermaßen voll ist, stecken sie unser Model X an die Säule. Gäbe es unter den Hotelgästen zwei oder drei Teslafahrer mehr, hätte man mit einer Säule durchaus ein größeres logistisches Problem. Das 4-Sterne-Superior Romantik Hotel Scheelehof erstreckt sich im historischen Altstadtkern von Stralsund über ein Ensemble von fünf Gebäuden, gebaut in verschiedenen Jahrhunderten, von denen das älteste aus dem Jahre 1383 stammt. 2010 wurden die denkmalgeschützten Giebelhäuser aufwendig und liebevoll saniert und beherbergen heute 92 Zimmer und Suiten, sowie gastronomische Einrichtungen und einen schönen Wellnessbereich. In unserem Zimmer mit Blick auf die Nikolaikirche konnte man das historische Erbe des Romantik Hotel Scheelehof ganz besonders spüren: Tiefe Deckenhöhe, offene Mauern, rustikale Deckenbalken verstrahlen beim Betreten des Raumes sofort ein heimeliges Gefühl. Am nächsten Morgen gibt es ein ausgezeichnetes Verwöhnfrühstück im historischen Innenhof bevor es mit vollen Batterien – sowohl beim Tesla als auch bei uns – weiter in Richtung Heiligendamm geht. Die Strecke beträgt diesmal nur etwa 130km und sollte mit voller Batterie mehr als dreimal zu fahren sein. Trotzdem merkt man auch diesmal wieder die Zurückhaltung wenn die Möglichkeiten, mal eben zwischendurch das Fahrzeug aufzuladen, nicht gegeben sind wie bei herkömmlichen Tankstellen. Wie viel Strom zieht wohl die Musik? Und wie sieht es eigentlich mit dem großen Bildschirm aus? Könnte man den im Zweifel auch ausschalten, um Batterie zu sparen? Obwohl uns die Anzeige ausrechnet, dass wir mit über 50% Restbatterie in Heiligendamm ankommen sollen, bleibt man anfangs etwas skeptisch. Wahrscheinlich ist das aber nur eine Gewöhnungssache. Als man vor einiger Zeit mal von Pferdekutschen auf benzinbetriebene Fahrzeuge umgestiegen sind, hatten die Menschen vermutlich ähnliche Gedanken.
So kommen wir dann auch tatsächlich mit halb voller Batterie im Grand Hotel Heiligendamm* an. Um auf Nummer sicher zu gehen, bitte ich den Pagen, das Fahrzeug doch bitte an eine der zweite Tesla-Ladesäulen anzuschließen. Als ich nach zwei Stunden nochmal zum Auto gehe, ist es nicht angeschlossen. Der Page entschuldigt sich und erzählt mir, dass ihm nicht klar war, wo beim Model X die Öffnung für das Ladekabel sei. Model S hätte er schon im Hotel gehabt und „betankt“, das Model X allerdings noch nie. Man muss es ihm verzeihen, auch ich habe beim ersten Mal etwas länger benötigt, um mich über das Display bis zur „Ladeklappe öffnen“-Anzeige durchzuklicken.
Unser Zimmer im Hotel war sehr komfortabel und geräumig inklusive großem Marmorbad und der Blick auf die Ostsee hat dem ganzen noch das I-Tüpfelchen aufgesetzt. Nach einem hervorragenden Frühstück mit dem selben herrlichem Blick aufs Wasser geht es auf die letzte Etappe zurück nach Hamburg, 170km Strecke. Hier erlebe ich noch einmal, wie sportlich man im Tesla Model X 100D unterwegs sein kann. Allerdings kennt die Anzeige der Rest-Batterieladung bei über Tempo 200 auch nur eine Richtung: drastisch abnehmend ! Trotzdem klappt es auch diesmal wieder – wir kommen in Hamburg an. Und dafür muss man nicht etwa die Hälfte der Strecke nur 80km/h fahren, sondern kann ganz gemütlich mit etwa 150 km/h über die Autobahn gleiten.
Erkenntnis zum Fahren: Funktioniert alles ! Sicher muss man sich daran gewöhnen, dass man entlang der Autobahn nicht alle 5 Kilometer die Möglichkeit hat, das Fahrzeug aufzutanken. Aber es passiert ja was in Sachen Ladesäulen. Wenn man der ganzen Geschichte noch ein paar Monate Zeit gibt, wird das zunehmend entspannter. Heute gibt es etwa 70 Supercharger in Deutschland, an denen Teslafahrer ihre Fahrzeuge umsonst aufladen können. Innerhalb von 30 Minuten lädt die Station das Auto mit genug Energie auf, um knapp 270km weit zu kommen.
Was beim Tesla schnell auffällt, ist, dass es eigentlich kein herkömmliches Auto ist, sondern nicht umsonst oftmals als „Smartphone auf Rädern“ umschrieben wird. Das ist teilweise sehr nützlich, teilweise aber auch einfach nur eine lustige Spielerei. Erst das Nützliche: Als im September 2017 der Hurrikan Irma auf Florida zurollte, ergriffen viele Amerikaner die Flucht. Darunter auch zahlreiche Fahrer von Tesla-Modellen mit der günstigeren 60kWh-Batterie. Allerdings ist auch in diesen Fahrzeugen die größere 75kWh-Batterie eingebaut, nur eben „gedrosselt“. So hat Tesla kurzfristig auch den 60kWh-Batterie-Fahrzeugen die volle Akku-Kapazität freigeschaltet, damit ihnen auf der Flucht nicht der Strom ausgeht. Das funktioniert alles ohne Werkstattbesuch, Over-The-Air genannt, mithilfe eines einfachen Softwareupdates. 2017 fragte ein Twitter-Nutzer Elon Musk, ob es möglich wäre, dass sich Sitz und Lenkrad etwas verschieben, sobald das Fahrzeug geparkt wurde, damit man leichter aussteigen könnte. Wenige Minuten später kündige Musk an, das Feature in einem der nächsten Softwareupdates zur Verfügung zu stellen – für alle Tesla-Fahrzeuge weltweit.
Neben vielen sinnvollen Dingen, die einfach über Nacht und ohne Besuch einer Werkstatt auf den Tesla aufgespielt werden können, gibt es noch einige weniger sinnvolle, aber dafür sehr unterhaltsame. Wie bei Computerspielen sind im Tesla etliche Easter Eggs eingebaut. Durch Eingabe bestimmter Codes oder bspw. dreimaligem Tippen auf das Tesla-T im Bildschirm verwandelt sich zum Beispiel der gesamte Bildschirm in ein Skizzenbuch, wird die Karte in der Navigation durch die Mondoberfläche ersetzt, wird statt des Bild des Fahrzeugs in den Einstellungen der Federung das Tauchfahrzeug Lotus Esprit aus dem James Bond-Film „Der Spion, der mich liebte“ angezeigt, wird die Straße im Cockpit zur Rainbow Road aus Mario Kart und so weiter und so fort. Absolutes Highlight der Spielereien ist wohl die Weihnachtsshow: Nach Eingabe des Codes „ModelXMas“ fordert das Fahrzeug dazu auf, die Fenster und Türen initial zu schließen und Abstand zum Auto zu halten. Dann geht plötzlich eine 3 Minuten lange Show los, in der es einen Weihnachtssong abspielt und passend zur Musik die Lichter des Fahrzeugs an- und ausschaltet, Flügeltüren auf- und zumacht, Spiegel ein- und ausklappt und eine sehr sehenswerte Performance hinlegt.
Tesla Model X 100D
Tesla Deutschland
Hamburg, Stralsund, Heiligendamm, Germany
May 2018
Bisher war ich reinen Elektrofahrzeugen gegenüber eher skeptisch. Ich fand es immer sehr beruhigend, bei Hybridfahrzeugen doch noch den herkömmlichen Benzinmotor als Backup zu haben. Außerdem sind aktuelle Hybridfahrzeuge mit ihren oftmals 35 oder 42 Kilometern Reichweite bei rein elektrischem Fahren ja auch nicht viel mehr als ein Marketinggag und ein erster kleiner Versuch, sich dem Thema zu nähern. Tesla macht eben keine halben Sachen. Und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, was es bedeutet, nicht an jeder Tankstelle das Fahrzeug „vollmachen“ zu können, und sich daran anpasst, ist es doch gar nicht so riskant und nervenaufreibend wie gedacht.
Man kann von Elon Musk halten was man will. Und man muss auch nicht der Überzeugung sein, dass Tesla diejenige Firma sein wird, die Elektrofahrzeuge massentauglich macht. ABER man muss ihm für seinen Vorstoß dankbar sein. Hätte er nicht diese Vision und die Risikobereitschaft, die gesamte Automobilbranche herauszufordern, wäre vermutlich in den Konzernzentralen in München, Ingolstadt oder Wolfsburg wenig passiert in Sachen Elektrofahrzeuge. Alleine, dass er die Konzernlenker und die Öffentlichkeit aufgeschreckt hat, sollte man ihm hoch anrechnen. Dazu kommt, dass ich persönlich durchaus davon überzeugt bin, dass Tesla auch die richtige Marke ist und die richtigen Fahrzeuge hat, um Elektromobilität populär zu machen. Sicherlich nicht unbedingt das Tesla Model X, denn das beginnt mit der kleinsten Batterie bei etwa 100.000 Euro. Mein Testwagen Tesla Model X 100D mit allerlei Ausstattung und Spielerei kostet etwa 140.000 Euro und das Top-Modell P100D (unter anderem 3,1 Sekunden von 0 auf 100km/h) kostet zwischen 157.000 Euro und 177.000 Euro.
Ich bin aber sicher, dass das Tesla Model 3 ein Erfolg sein wird, die Zulassungen von Model S und Model X weiter steigen und wir sehr bald sehr viel mehr Teslas auf deutschen Straßen sehen werden. Darauf freue ich mich, denn ich bin zu 100% von der Idee, dem Konzept und den Fahrzeugen überzeugt ! Das Tesla Model X 100D ist ein beeindruckendes Auto: Die Flügeltüren, der riesige Touchscreen, Softwareupdates over-the-air, sagenhafte Beschleunigung, ein hervorragendes Fahrerlebnis und nicht zuletzt ein unvergleichliches Servicelevel machen Lust auf mehr.
*Anmerkung: Die Hotelübernachtungen wurden mir kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies hat allerdings keinen Einfluss auf meine Meinung oder die Inhalte des Beitrags genommen.
Model X 100D: 208 Wh/km
Weitere Informationen unter https://www.tesla.com/de_DE/modelx
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