Mit Spannung erwartet

Was war dieser September bloß für ein Monat für die Automobilbranche. Die IAA hat durch Protestaktionen schon seit Wochen ihre Schatten vorausgeworfen. Am ersten Publikumssonntag protestieren dann mehrere tausend Menschen vor den Eingängen für den Klimaschutz und eine schnelle Verkehrswende. Das Klimakabinett stellt sein Klimapaket vor, mit dem die Klimaschutzziele 2030 eingehalten werden sollen und am 20.09. gehen allein in Deutschland über eine Million Leute auf die Straßen, um gemeinsam für mehr Klimaschutz und die Einhaltung der Pariser Klimaziele zu streiken.
Und ich habe Anfang des Monats mal wieder ein Fahrzeug ausführlicher unter die Lupe nehmen können. Ganz im Sinne der Fridays for Future-Bewegung: einen Audi e-tron advanced 55 quattro 265kW.
Unser Trip startet bei Auto Kölbl in Unterschleißheim bei München. Auf den ersten Blick sieht der e-tron mit seinem nach hinten abfallenden Dach überraschend sportlich aus. Der Kofferraum hat keinen doppelten Ladeboden und fasst 660 Liter. Legt man die hintere Sitzreihe um sind es sogar 1.725 Liter Fassungsvermögen und damit nur 30 Liter weniger als beim Audi Q8. Auf zusätzlichen Stauraum unter der Fronthaube sollte man nicht hoffen. Öffnet man den Deckel findet man eine Schale, in die in der Theorie möglicherweise die Einkaufstüten passen könnten, in der Praxis allerdings nicht, da sie mit den Ladekabeln und Adaptern voll ist. Das ist allerdings aufgrund des bereits erwähnten ausreichend großen Kofferraums nicht weiter dramatisch, in den wir dann auch unsere Taschen für die Woche schmeißen. Der e-tron advanced 55 quattro startet bei einem Basispreis von 83.350 Euro. Bei der Ausstattungslinie „advanced“ erhält das Fahrzeug Stoßfänger vorne und hinten, Radlaufblenden in Kontrastlackierung sowie 20 Zoll Räder mit wunderschönen 5-Arm-Felgen. Unser Testfahrzeug in Mythosschwarz Metallic kommt mit allerlei Ausstattung und Sonderausstattung, vom großen Audi MMI-System inkl. Head-Up-Display über eine Komfort-Standklimatisierung und wunderschönes Valcona Leder, auf einen Gesamtpreis von 97.900 Euro.
Nach einer Einweisung vom e-tron-Produktspezialisten mit allem Wissenswerten rund ums Auto, den Antrieb und das Aufladen geht es auf die Straße.
Der erste Eindruck überzeugt. Die Anfahrtperformance muss man einfach selbst erlebt haben. Und auch wenn ich nicht zum ersten Mal in einem Elektroauto sitze, bin ich jedes Mal aufs Neue überrascht, dass sofort die gesamte Kraft zur Verfügung steht, selbst bei einem so mächtigen Fahrzeug wie dem e-tron (immerhin kommt der Wagen, vor allem durch die 700kg schwere 95kWh-Batterie, auf ein Leergewicht von 2,6 Tonnen). Trotzdem können sich die Leistungsdaten des AUDI e-tron blicken lassen: zwei Elektromotoren mit insgesamt 360 PS, in 5,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h (auch wenn man die vermutlich nie fährt – aber dazu später mehr).
So machen wir uns also bei optimalen Bedingungen – knapp über 20 Grad und sonnig – auf die 176km lange Strecke von Unterschleißheim zum ersten Zwischenstopp nach Salzburg. Der Wagen ist vollgeladen und zeigt eine Reichweite von 390km an – laut Herstellerangaben beträgt die maximale Reichweite 417km. Als wir nach etwa 5 Kilometern auf die Autobahn fahren zeigt der Bordcomputer nur noch 350km Reichweite an. Das liegt daran, dass die Reichweitenprognose mit dem Navi gekoppelt ist. Sobald ein Ziel eingegeben wird, berechnet das Fahrzeug anhand der Strecke, Live-Verkehrsdaten, Wetter und weiteren Einflussfaktoren die Reichweite neu. Ein etwas ungutes Gefühl bezüglich der Verlässlichkeit der Angaben beschleicht uns und die Lust, am ersten Urlaubstag direkt liegen zu bleiben, ist auch nicht sonderlich groß. Also schalten wir das Radio aus und navigieren die erste Strecke mit dem Handy statt mit dem Auto. Eigentlich schade, dass (aufpreispflichtige, aber absolut lohnenswerte) Bang & Olufsen-Premium-Soundsystem nicht zu nutzen. Aber dann können wir uns eben auf das konzentrieren, was es sonst zu hören gibt: und stellen fest, dass das nicht viel ist. Windgeräusche? Abrollgeräusche der Reifen? Alles so gut gedämmt, dass man es nicht hört und man sich auf der Autobahn ganz gemütlich unterhalten kann, auch bei höheren Geschwindigkeiten und auch mit Passagieren im Fond.
In Sachen Fahrgefühl gibt es nichts zu meckern: Der Wagen liegt gut auf der Straße, Kurvenfahren macht auch im Grenzbereich Spaß und fühlt sich jederzeit sicher an und Unebenheiten auf der Fahrbahn werden wie selbstverständlich abgefedert.
AUDI setzt beim e-tron auf das neue Bedienkonzept, das wir schon aus den aktuellen A6, A7 und A8 kennen mit einem Screen für Klimatisierung unter dem großen Touchscreen in der Mittelkonsole. Das sieht auf jeden Fall sehr modern aus, erweist sich in der täglichen Nutzung allerdings manchmal als unpraktisch. Die Touchscreens reagieren nicht wie ein Smartphone auf eine einfache Berührung, sondern erst auf einen gewissen Druck – nicht weiter wild, nach ein paar Mal Drücken hat man sich hieran gewöhnt. Dass das untere Display als Schreibfläche für die Eingabe von bspw. Adressen oder Zahlen dient, muss man erst einmal verstehen, funktioniert dann aber auch gut. Allerdings muss man bei der Nutzung des unteren Screens den Blick schon sehr weit von der Straße nehmen, da es überhaupt keine Tasten und Regler mehr gibt. Aber auch hierfür gibt es eine Lösung: man nutzt am besten wann immer es geht die Sprachsteuerung, die hervorragend funktioniert.
Vom Autohaus Kölbl in Unterschleißheim geht es nun also in gemütlichem Tempo Richtung Salzburg. In Salzburg kommen wir an der ersten Ladesäule an und stellen fest, dass es unter der angegeben Adresse überhaupt keine Ladesäule gibt. Die Infos im Ladesäulen-Finder auf der e-tron-Homepage von AUDI scheinen nicht aktuell zu sein. Mithilfe des Navigationssystems im Auto finden wir dann aber noch eine Säule in der Nähe, die glücklicherweise auch als frei angezeigt wird. Also hinfahren und aufladen. Das geht super einfach und bedarf eigentlich keiner großen Erläuterung: Fronthaube aufmachen, passendes Kabel herausnehmen, Ladekarte vor die Säule halten, Säule leuchtet blau, Kabel in Säule und Auto stecken und schon lädt der e-tron. Wenn man etwas geübt ist dauert dieser Teil des Ladevorgangs weniger als eine Minute. Wir machen uns auf den Weg in die Innenstadt, erkunden Salzburg für zwei Stunden und als wir zurückkommen ist der Wagen wieder voll geladen. Bis zur finalen Destination des Tages sind es noch 20 Kilometer. Die ersten „Berührungsängste“ sind überwunden und wir fahren zügig und entspannt ins Hotel.
Die nächsten Tage nutzen wir den e-tron vor allem für kleinere Trips an die Berge und Seen im Salzkammergut. Hierfür ist er in meinen Augen das optimale Fahrzeug. Ich bin überrascht über die Verfügbarkeit von Ladesäulen. Vor dem Trip hätte ich nicht gedacht, dass es auch an vielen noch so kleinen Seen oder in kleineren Dörfern Ladesäulen gibt. Nicht immer die Schnellladesäulen, aber wenn man sowieso eher kürzere Strecken fährt und das Auto dann auch während Spaziergängen für längere Zeit aufladen kann, reichen auch normale 11kW oder 22kW Säulen. Ebenfalls praktisch ist die Tatsache, dass die Ladesäulen a) häufig verfügbar sind, b) meistens in sehr guter Lage sind und man c) – zumindest in Österreich – dort umsonst parkt, wenn man während des Parkvorgangs das Fahrzeug auflädt.
In einem kleinen Dorf am Wolfgangsee erleben wir gleich zweimal innerhalb weniger Minuten die Nachteile von Elektrofahrzeugen. Erst ist es ein Schüler, der nach Schulschluss das Schulgelände verlässt, gedankenversunken auf sein Handy guckt und ohne sich vorher umzusehen gemütlich auf die Straße läuft. Die Situation war nicht gefährlich, da wir sowieso in einer Spielstraße fuhren – nichtsdestotrotz wäre er mir vermutlich von schräg vorne gegen das Auto gelaufen, wenn ich nicht gehupt hätte. Die selbe Situation hatten wir zwei Straßen weiter nochmal mit einer Gruppe älterer Leute, die aus einem Reisebus stiegen und gemütlich schräg über die Straße gelaufen sind ohne sich vorher umzudrehen. Wenn die Passanten dann auch noch feststellen, dass es kein kleiner Stadtflitzer war, den sie übersehen haben, sondern ein kräftiges, 2,6 Tonnen schweres SUV, reagieren sie immer mit noch größeren Augen. Sollten die Elektroautos irgendwann flächendeckend den Durchbruch schaffen, müssen wir alle uns auf jeden Fall wieder mehr daran gewöhnen, uns umzugucken und nicht nur den Ohren zu vertrauen.
Allerdings hat sich die Politik diesem Problem schon angenommen. Deshalb muss in der EU zum Schutz der Fußgänger seit dem 01. Juli in neuen Typen von Hybrid-, Brennstoff- und reinen Elektroautos ein akustisches Warnsignal installiert sein, das im Geschwindigkeitsbereich zwischen Anfahren und 20km/h sowie beim Rückwärtsfahren ein Dauerton erzeugt. Die Grenze von 20km/h ist gewählt, da bei höheren Geschwindigkeiten die Abrollgeräusche der Reifen laut genug sind.
Nach einer entspannten Fahrt nach Bad Reichenhall machen wir uns am Samstag wieder auf den Weg zurück nach Unterschleißheim. Unterdessen haben wir auch verstanden, was der e-tron-Experte von Auto Kölbl uns bezüglich der Nutzung der „Schaltwippen“ erklärt hat. Die sind zwar noch am Lenkrad, natürlich schaltet man damit aber keine Gänge mehr hoch oder runter. Vielmehr bedient man hiermit das intelligente Rekuperationssystem, mit dem der e-tron Energie zurückgewinnt und die Reichweite verlängern kann. Auf der niedrigsten Rekuperationsstufe gleitet der Wagen einfach weiter, sobald man den Fuß vom Pedal hebt, ohne zusätzliches Schleppmoment und ohne dass Energie fließt. Auf der mittleren und hohen Stufe bauen die Elektromotoren ein Bremsmoment auf und erzeugen hiermit Strom. Das Fahrzeug reduziert spürbar die Geschwindigkeit, sodass man allein mit dem Fahrpedal gleichzeitig bremsen und beschleunigen kann und das Bremspedal fast nicht mehr benötigt. Das ganze ist am Anfang etwas ungewöhnlich, aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, kann man die unterschiedlichen Stufen gut in seine Fahrt einbauen und damit enorm Energie zurückgewinnen. Teilweise fahren wir über 25 Kilometer ohne auf der Reichweitenanzeige einen einzigen Kilometer zu verlieren. SO macht Elektromobilität Spaß!
Zurück in Unterschleißheim stellen wir den Wagen wieder auf dem Gelände von Auto Kölbl ab. Wir kommen über die gesamte Woche auf einen Durchschnittsverbrauch von etwa 24kWh/100km, was sich im Rahmen der Herstellerangaben bewegt. Bei einem Strompreis von ca. 29 Cent pro kWh kommen wir damit auf knapp unter 7€ pro 100km. Für ein Fahrzeug mit den Maßen und Leistungsdaten in meinen Augen absolut überzeugend!
AUDI e-tron advanced 55 quattro
Auto Kölbl, Unterschleißheim
München, Salzburg, Salzkammergut, Bad Reichenhall
September 2019
Uns hat der Audi e-tron überzeugt, mit (kleineren) Abstrichen an der einen oder anderen Stelle. Design, Exterieur, Interieur, Bedienung: alles typisch AUDI absolut Premium. Ein kleiner Jingle, der ertönt, wenn man das Fahrzeug startet ist ein schönes Gimmick.
Wie sich der AUDI e-tron schlägt, wenn das primäre Ziel darin besteht, Kilometer zurückzulegen, müsste man separat testen. Ich schätze allerdings, dass man bei gemütlicher Fahrt (sagen wir 150km/h auf der Autobahn) auf der Strecke von München nach Hamburg sicherlich viermal an die (Schnell-)Ladesäulen andocken müsste. Bei 30 Minuten je Tankvorgang, um den Wagen von 5% auf 80% aufzuladen ergäbe sich hierdurch eine Gesamtladedauer von sicherlich zwei Stunden. Definitiv deutlich mehr Zeit als man für konventionelle Tankstops auf der Strecke benötigt, und auf der Raststätte mal eben so 30 Minuten Warten ist auch eher lang. Wie sich die Sache mit der Reichweite im Herbst / Winter verhält, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt.
Für unseren Trip waren die Reichweite und die Lade-Infrastruktur ausreichend, da wir meistens kürzere Strecken gefahren sind und/oder das Fahrzeug genug Zeit zum Aufladen hatte, wenn wir zu Fuß die Gegend erkundet haben. Außerdem herrschten Anfang September sehr elektroauto-freundliche Bedingungen.
Ob das heute schon ausreicht, einen Preis von fast 100.000€ zu rechtfertigen, weiß ich nicht. Aber ich bin nach der Testwoche überzeugt, dass das Thema in den nächsten Jahren zurecht ordentlich zulegen wird, dass sich viele Ängste um nicht ausreichend Ladesäulen und komplizierte Ladevorgänge nicht bewahrheiten werden und freue mich auf eine Zukunft, die stark von Elektromobilität geprägt ist. Gutes tun kann sich so gut anfühlen. Das ist uns einmal mehr klargeworden, als wir in Hamburg in ein Carsharing-Fahrzeug eingestiegen sind und uns schon nach wenigen Metern irritiert angeschaut und gewundert haben, wieso ein so kleines Fahrzeug (ein Zweisitzer von einem Automobilhersteller aus Stuttgart) so einen Lärm machen muss, wenn wir doch gerade eine Woche lang in einem mehr als 2,6 Tonnen schweren Fahrzeug komplett laut- und emissionslos unterwegs sein konnten.
Vielen Dank an Auto Kölbl für die Bereitstellung des AUDI e-tron.
Stromverbrauch kombiniert in kWh/100 km*: 24,6–23,7 (NEFZ); 26,4–22,9 (WLTP)
CO₂-Emission kombiniert in g/km*: 0
Weitere Informationen unter https://www.audi.de/de/brand/de/neuwagen/tron/audi-e-tron.html
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